Atmende Flüssigkeiten
- Neues aus der Fakultät 2023
Wie bereits vor über 200 Jahren vom englischen Chemiker William Henry beschrieben wurde, zeigen Flüssigkeiten in der Regel eine lineare Zunahme der Gaslöslichkeit mit zunehmendem Gasdruck. Die Natur liefert jedoch ein eindrucksvolles Beispiel für eine Flüssigkeit mit einer stufenförmigen Gassättigungskurve. Aufgrund einer kooperativen Strukturumwandlung des Hämoglobins während der Sauerstoffbindung zeigt die Sauerstoffsättigungskurve des Bluts eine charakteristische sigmoidale Form in Abhängigkeit vom Sauerstoffpartialdruck. Durch die sigmoidale Form der Sauerstoffsättigungskurve erfordert die Aufnahme bzw. Abgabe von Sauerstoff im Blut nur eine geringe Änderung des Sauerstoffpartialdrucks. Dieser Umstand ist von höchster Relevanz für einen effizienten Sauerstofftransport von den Atmungsorganen zu den Geweben und Organen und damit ein Schlüsselfaktor für den Stoffwechsel fast aller Wirbeltiere.
Im Journal Nature Communications berichtet die Arbeitsgruppe um Prof. Sebastian Henke über atmende poröse Flüssigkeiten, die eine sigmoidale Gassättigungskurve ähnlich der von Blut aufweisen. Im Fokus der Forscher stand hier allerdings nicht der Sauerstoff, sondern das Klimagas Kohlenstoffdioxid sowie gasförmige Kohlenwasserstoffe, die für die Herstellung von Kunststoffen relevant sind. Bei den von Dr. Athanasios Koutsianos entwickelten porösen Flüssigkeiten handelt es sich um kolloidale Lösungen von MOF-Partikeln (MOF = Metal-Organic Framework) in einem Silikonöl. MOFs sind Materialien, die modular aus anorganischen und organischen Bausteinen aufgebaut sind und Poren im Nanometerbereich aufweisen. Durch die Möglichkeit die Form und Größe der Hohlräume durch Wahl der Bausteine variabel einzustellen sind MOFs für Anwendungen in der Energiespeicherung, Gastrennung, Ionenleitung und Katalyse interessant.
Die von der Arbeitsgruppe Henke eingesetzten MOF-Partikel besitzen sehr enge Poren, die Moleküle des Silikonöls nicht durchdringen können, wohl aber kleinere Gasmoleküle wie CO2. Der Trick ist nun, dass die MOF-Partikel bei einem spezifischen Gasdruck in eine expandierte Form umschalten, die deutlich mehr Gasmoleküle aufnehmen kann als die ursprüngliche Form. Dieses Umschalten der MOF-Partikel in Abhängigkeit vom äußeren Gasdruck führt zu einer sigmoidalen Gassättigungskurve der porösen Flüssigkeiten. Somit können die in der kolloidalen Lösung adsorbierten Gase durch eine kleine Änderung des Gasdrucks oder eine geringe Temperaturerhöhung freigesetzt werden, wodurch diese Systeme potenziell energetisch effizienter sind als herkömmliche Adsorptionsmittel.
Gemeinsam mit Physikern des Dortmunder Synchrotrons DELTA untersuchten die Chemiker mit hochenergetischer Röntgenstrahlung den Mechanismus der Gasadsorption in den porösen Flüssigkeiten. Dabei konnten sie nachweisen, dass die sigmoidale Gassättigungskurve der kolloidalen Dispersionen durch die Expansion der MOF-Partikel oberhalb eines spezifischen Gasdrucks hervorgerufen wird.
In zukünftigen Arbeiten wollen die Forscher nun die technologische Effizienz der neuartigen atmenden Flüssigkeiten für Anwendungen in der Gasreinigung oder der Kohlenstoffdioxidabtrennung (Carbon Capture and Storage, CCS) evaluieren.
Das Forschungsprojekt wurde durch die VolkswagenStiftung im Rahmen der Initiative Experiment! gefördert.
A. Koutsianos, R. Pallach, L. Frentzel-Beyme, C. Das, M. Paulus, C. Sternemann, S. Henke,
Breathing porous liquids based on responsive metal-organic framework particles
Nat. Commun. 2023, 14, 4200, DOI: 10.1038/s41467-023-39887-3