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Ein Teil des Turbo-Grignard-Puzzles entschlüsselt

Das Anwendungsfeld der Organo-Magnesiumhalogenide, als Grignard-Reagenzien nach Victor Grignard (Nobelpreisträger von 1912) benannt, umfasst viele Bereiche der synthetischen Chemie wie einfache elektrophile Additions- und Halogenaustauschreaktionen über Vorläufer komplexer Kupplungsreaktionen bis hin zur Synthese optoelektronisch aktiver Polymere. Diese häufig genutzten und kommerziell erhältlichen Reagenzien sind auch mehr als 100 Jahren nach ihrer Entdeckung noch immer Gegenstand intensiver und umfangreicher wissenschaftlicher Forschung. Grund dafür ist neben der ständigen Weiterentwicklung der Technologien und der Reagenzien an sich auch die hohe Zahl der Gleichgewichte, welche zwischen den möglichen Strukturen ausgebildet werden. Zusammengefasst werden diese Gleichgewichte durch das Schlenk-Gleichgewicht und werden seither als ein „chemisches Puzzle“ im Rahmen der Organo-Metallchemie angesehen.

Die Ent­wick­lung des Turbo-Grignard-Reagenzes durch Paul Knochel brachte die Reagenzklasse der Organo-Magnesiumhalogenide auf ein völlig neues Niveau. Dabei konnte durch die einfache Zugabe von Lithiumchlorid eine signifikante Erhöhung der Reaktivität und der Chemoselektivität erreicht werden. Während eine Steigerung der Ausbeute und eine Verkürzung der Reaktionszeit beobachtet werden konnten, waren die angewandten Reaktionsbedingungen milder und die Toleranz gegenüber funktionellen Gruppen höher. Viele Studien zur Aufklärung einer möglichen reaktiven Spezies konnten bisher jedoch nur einen Einblick in die hohe Vielfalt und das hohe dynamische Verhalten des Schlenk-Gleichgewichtes geben.

Abb. 1: Durch Strukturaufklärung im Einkristall und in Lösung konnten wir nicht nur eine reaktive Spezies des Turbo-Grignard-Reagenzes identifizieren, sondern auch ihren mechanistischen Wert durch quantenchemische Berechnungen nachweisen.

Einer Koorperationsgruppe der TU Dortmund bestehend aus Mitgliedern des Arbeitskreises von Prof. Dr. Carsten Strohmann und des NMR-Teams von Prof. Dr. Wolf Hiller ist es nun gelungen eine mögliche reaktive Spezies des Turbo-Grignard-Reagenzes im Festkörper zu identifizieren, in Lösung nachzuweisen und mittels quantenchemischer Berechnungen zu verifizieren. Diese tiefergehende Studie liefert eine mögliche Erklärung für die häufig beobachtete Reaktivitätserhöhung des Turbo-Grignard-Reagenzes, indem durch den Einbau des Lithiumchlorids in eine Diorgano-Magnesiumverbindung der Übergangszustand von entsprechenden Reaktionen energetisch stabilisiert werden kann. Die Bildung dieser bimetallischen Spezies aus einer stabilen Diorgano-Magnesiumverbindung und einem formalen Salz wirkt zunächst überraschend, zeigt sich jedoch als ein Teil zur Entschlüsselung des Turbo-Grignard-Puzzles. Die Pub­li­ka­tion wurde in dem renommierten Journal An­ge­wand­te Chemie publiziert.

Comprehensive Study of the Enhanced Reactivity of Turbo-Gignard-Reagents
A. Hermann, R. Seymen, L. Brieger, J. Kleinheider, B. Grabe, W. Hiller, C. Strohmann*
Angew. Chem. Int. Ed. 2023, e202302489.

Abb. 2: Molekülstrukturen im Festkörper eines der untersuchten Turbo-Grignard-Kongenere mit eingebautem Lithiumchlorid (links) und der entsprechenden Diorgano-Magnesiumverbindung (rechts).