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Neues aus der Fakultät

Archiv 2022

Licht-getriebene Auf­recht­er­hal­tung selbst-as­sem­blier­ter Strukturen jenseits des ther­mo­dy­na­mi­schen Gleich­ge­wichts

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TOC figure of light-switchable cages © CleverLab​/​TU Dortmund

Das Prinzip der metallvermittelten Selbst-Assemblierung erlaubt es, auf einfache Weise komplexe dreidimensionale Nanostrukturen aus maßgeschneiderten, organischen Mo­le­kü­len und geeigneten Metallionen zu bilden. Sind dabei entstehende Ver­bin­dun­gen mit zugänglichen Hohlräumen ausgestattet, nennt man diese „supramolekulare Käfige“, welche als „Wirte“ kleinere „Gastmoleküle“ in ihrem Innern aufnehmen können. Entwicklungen auf diesem Gebiet führen zu selektiven Rezeptoren, enzymartigen Katalysatoren und smarten Materialien. Die Arbeitsgruppe um Prof. Guido Clever beschäftigt sich mit dem Einbau lichtschaltbarer Funktionsbausteine, um den Systemen einen „stimuli-responsiven“ Charakter zu verleihen und so z.B. Gastbindung und strukturelle Umwandlungsprozesse steuern zu können. In einer aktuellen Studie zeigen die Dortmunder Chemiker nun erstmalig, dass sich durch kontinuierlichen Energieeintrag in Form von Licht Wirt-Gast Komplexe jenseits des ther­mo­dy­na­mi­schen Gleich­ge­wichts halten lassen, während sie beim Abschalten der Lichtquelle wieder in ihre Bestandteile zerfallen.

Ein selbst-as­sem­blier­ter Nanokäfig auf Basis von Diazocin-Photoschaltern wird durch Bestrahlen mit UV-Licht strukturell so verändert, dass er ein Gastmolekül in seinem Innern aufnehmen kann. Dieser Wirt-Gast Komplex befindet sich nicht im ther­mo­dy­na­mi­schen Minimum und kann unter „dissipativen Bedingungen“ nur aufrechterhalten werden, solange kontinuierlich Energie in Form von Licht zugeführt wird.
Die lichtschaltbare Strukturänderung der selbst-assemblierten Wirtsverbindung führt zu einem Farbwechsel (a), ist mehrfach wiederholbar (b) und lässt sich thermisch umkehren (c). Fortdauernde Bestrahlung erlaubt es, dass System in einem photostationären Zustand jenseits des thermischen Gleich­ge­wichts zu halten; Abschalten der Lichtquelle führt zu einem thermischen Rückschaltprozess.

Chemische Systeme, die in einem Zustand jenseits des ther­mo­dy­na­mi­schen Gleich­ge­wichts operieren und dort nur verweilen, solange fortwährend Energie (z.B. in Form chemischer Energieträger) zugeführt und in Form von Wärme (und Abfallprodukten) abgeführt („dissipiert“) wird, bilden die Grundlage aller Stoffwechselvorgänge des Lebens. Eine besonders attraktive, da ohne materielle Abfälle auskommende, Methode Energie in solch ein System einzubringen ist das Bestrahlen mit Licht. Dazu müssen Farbstoffe die Energie des Lichtes aufnehmen und umwandeln können, wie es z.B. grüne Pflanzen beherrschen um Metabolismus und Wachstum anzutreiben. Supramolekulare Chemiker entwickeln Modellsysteme, um solche Prozesse nachzuahmen, zu verstehen und zu nutzbaren Anwendungen weiterzuentwickeln. Eine neue Pub­li­ka­tion der Arbeitsgruppe Clever, erschienen in der renommierten Zeitschrift JACS und entstanden in Ko­ope­ra­tion mit der Gruppe um Prof. Rainer Herges, Christian-Albrechts Universität Kiel, beschreibt die dissipative Bildung eines künstlichen Wirt-Gast Komplexes jenseits des ther­mo­dy­na­mi­schen Gleich­ge­wichts.

Die Erstautorin Dr. Haeri Lee hat dazu sogenannte Diazocin-Photoschalter in Koordinationskäfige eingebaut, die durch Bestrahlen mit UV-Licht eine Strukturänderung eingehen und nur in dieser Form kleinere Moleküle als Gäste in ihrem Innern binden können. Interessant ist nun, dass diese Wirt-Gast Komplexe nur solange überleben, wie Energie in Form von Licht zugeführt wird. Versiegt diese Energiequelle, strebt das System einen energetisch niedrigeren Zustand unter thermischer Rückwandlung der Photoschalter und Freisetzen der Gastmoleküle an. Der Vorgang ist vollständig reversibel und dient als Grundlage für die Ent­wick­lung neuartiger chemischer Systeme und Materialen, die nur unter dem fortwährenden Einfluss von Licht besondere Funktionen, Strukturen oder Eigenschaften aufweisen. Potentielle Anwendungsgebiete wären lichtgetriebene Transport- und Trennprozesse, photoschaltbare Katalyse und der Sonne ausgesetzte, smarte Beschichtungen.

Die Erstautorin der Studie, Dr. Haeri Lee (1. v.l.), hat die Arbeiten an der TU Dortmund durchgeführt und ist inzwischen Assistant-Professor an der Hannam University, Südkorea. Dr. Jacopo Tessarolo (2. v.l.) und Dr. Ananya Baksi (3. v.l.) sind derzeit Postdoktorand:innen in der Gruppe von Prof. Guido Clever (re.), Lehrstuhl für Bioanorganische Chemie.

Gefördert wurde diese Arbeit vom European Research Council (ERC), der National Research Foundation of South-Korea und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).

Zitat und Link zur Originalpublikation („open access“):

"Light-powered Dissipative Assembly of Diazocine Coordination Cages"

H. Lee, J. Tessarolo, D. Langbehn, A. Baksi, R. Herges, G. H. Clever, J. Am. Chem. Soc. 2022, 144, https://doi.org/10.1021/jacs.1c12011.